Rassismus – Eine Begriffsdiskussion

Rassismus – ein schwierig zu definierender Begriff

Die theoretische Diskussion des Begriffes Rassismus dient dazu, dessen Eigenschaften und Wirkmechanismen anhand der Analyse seiner historischen Entwicklung herauszuarbeiten. Die Bestimmung von Rassismus als Phänomen ist mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Bereits im umgangssprachlichen Diskurs besteht keine Einigkeit darüber, was unter Rassismus zu verstehen ist, da die jeweilige Interpretation stark vom jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Hintergrund abhängt. 1 Ebenso sind im wissenschaftlichen Diskurs unterschiedliche, sich konkurrierende Verständnisse vorhanden, abhängig von der jeweiligen wissenschaftlichen Disziplin und der damit verbundenen Forschungsperspektive. Dies spiegelt sich auch in der nationalen und internationalen juristischen Praxis wider, in welcher an eine unterschiedliche weite Interpretation von Rassismus angeknüpft wird. 2 Diese Unschärfe liegt auch daran, dass Rassismus als Begriff und Phänomen nicht statisch, sondern vielmehr Gegenstand von Veränderungen ist. Sowohl in theoretischer Hinsicht, indem sich die Begründungen und Rechtfertigungen von Rassismus stetig wandeln, als auch aus praktischer Sicht, indem sich die Ausgrenzungspraktiken den gegebenen Umständen und technischen Neuerungen anpassen. 3

Theoretische Diskussion

Die theoretische Diskussion dient dazu, den Begriff Rassismus begrifflich zu fassen, indem der historische Ursprung des Begriffes «Rasse» und dessen sich verändernde Verwendung rekonstruiert wird. Hierbei wird insbesondere das Verhältnis zwischen rassistischer Theorie und Praxis unter dem Gesichtspunkt der sich geschichtlich verändernden Anwendung des Begriffes «Rasse» geklärt, um grundlegende Eigenschaften und Wirkungsmechanismen von Rassismus herauszuarbeiten. Die daraus entwickelte systematisch–funktionale Bestimmung von Rassismus ist in einem weiteren Schritt zu schärfen, indem die unterschiedlichen Prägungen von Rassismus (beispielsweise Antisemitismus oder Anti-Schwarzer-Rassismus) anhand Berichten von Opferorganisationen präzisiert werden.

Die Gesellschaft lässt sich als ein Zusammenschluss von Menschen betrachten, welcher als gemeinschaftliches System hierarchisch geordnet ist. Rassismus unterscheidet sich von anderen gesellschaftlichen oder individuellen Ausgrenzungspraktiken durch die willkürliche Auswahl von (meist äusserlichen) menschlichen Merkmalen als Grundlage der Grenzziehung zwischen Menschengruppen. 4 Diese individuellen Ausgrenzungsmerkmale (wie beispielsweise Hautfarbe, Geschlecht, Religionszugehörigkeit oder sexuelle Orientierung) sind gegeben und nicht Folge einer bewussten persönlichen Entscheidung. D.h. es macht einen Unterschied, ob beispielsweise die Gesellschaft kriminelle Menschen aufgrund ihrer Taten temporär von Teilen des gesellschaftlichen Lebens ausschliesst oder ob Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe als eigenständige Menschengruppen gekennzeichnet und aufgrund dieser Kennzeichnung ausgeschlossen werden. 5

Die Begründung von Rassismus erfolgt im Hinblick auf die vermeintliche Kenntnis über die Natur des Menschen, die entweder ein- oder auszugrenzen sind, sowie über die generelle und naturgewollte Lebensnotwendigkeit, eine solche Unterscheidung zwischen Eigenem und Fremden vorzunehmen. In der Praxis vollzieht sich die Grenzziehung mittels vielfältiger (oft gewaltsamer) Bemühungen, die erlebbare Wirklichkeit der Menschen an das vorgängig produzierte Wissen anzupassen. Es wird also versucht, die Welt nach den Vorgaben der Theorie zu gestalten, um damit einer angeblichen Natur der Menschen gerecht zu werden. Die besondere und unauflösliche Wechselbeziehung zwischen rassistischer Ideologie und deren Praxis besteht darin, dass sie sich gegenseitig plausibilisiert und rechtfertigt. Jenes Verhältnis von Ideologie und Praxis stellt denn auch ein Unterscheidungskriterium zwischen Rassismus auf der einen Seite und Vorurteilsstrukturen, Animositäten und Feindbilder auf der anderen Seite dar. Mit dieser engen Verknüpfung von Ideologie und Praxis geht in der Regel auch eine enge Verbindung des Schicksals der eigenen Menschengruppe und der fremden, auszugrenzenden Gruppe, einher. Nach der radikalsten Ausprägung rassistischer Logik, erscheint der Fortbestand des Eigenen deshalb nur durch die Vernichtung des Fremden oder Anderen möglich. 6 Der Begriff «Rassismus» setzt sich aus dem Begriff «Rasse» und dem Suffix «-ismus» zusammen. Das Suffix lässt sich etymologisch von der altgriechischen Verbform «izein» ableiten, was übersetzt «auf eine bestimmte Art und Weise handelnd» bedeutet und eine Lehre, Ideologie oder geistige Strömung kennzeichnet (wie beispielsweise Islamismus, Rationalismus oder Sozialismus). Der Ursprung des Begriffes «Rasse» ist hingegen nicht abschliessend geklärt. In Frage kommen die beiden Begriffe «raz» (arabisch: Kopf, Anführer oder Ursprung) oder «radix» (lateinisch: Wurzel), womit es sich bei «Rasse» zuallererst um einen Herkunfts- beziehungsweise Ordnungsbegriff handelt. Der unklare Ursprung des Begriffes «Rasse» und die damit verbundene fehlende inhaltliche Bestimmung stellt hierbei ein entscheidendes Unterscheidungsmerkmal gegenüber anderen Begriffen (beispielsweise «Heiden», «Barbaren» oder «Wilde») dar, die zur Ordnung von Menschengruppen verwendet wurden. Gerade weil der Begriff «Rasse» historisch betrachtet keine kulturelle Konnotation aufweist, bot er sich als begrifflicher Schlussstein an, um unterschiedliche rassenideologische Theorien unter das Wort «Rasse» als theoretische Grundlage moderner Formen von Rassismus zu subsumieren. 7 8


  1. Geulen, Christian: „Geschichte des Rassismus“, München, 2021, S. 8 – 12. ↩︎
  2. Nagquil, Tarek: „Begrifflichkeiten zum Thema Rassismus im nationalen und im internationalen Verständnis“, Bern. 2014, S. 12 – 18. ↩︎
  3. Koller, Christian: „Rassismus“, Paderborn, 2009, S. 9 – 11. ↩︎
  4. Geulen, Christian: „Geschichte des Rassismus“, München, 20214, S. 13. ↩︎
  5. Geulen, Christian: „Geschichte des Rassismus“, München, 20214, S. 13. ↩︎
  6. Geulen, Christian: „Geschichte des Rassismus“, München, 20214, S. 13. ↩︎
  7. Nagquil, Tarek: „Begrifflichkeiten zum Thema Rassismus im nationalen und im internationalen Verständnis“, Bern. 2014, S. 9. ↩︎
  8. Koller, Christian: „Rassismus“, Paderborn, 2009, S. 9 – 11. ↩︎

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